Bonn, 10.Oktober 2007
Pressemitteilung 40/2007
Bundesverfassungsgericht verhandelte heute über die Verfassungsbeschwerden gegen die Online-Durchsuchung im Verfassungsschutzgesetz des Landes Nordrhein-Westfalen
An dieser Verhandlung hat auch der Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit Peter Schaar als Sachverständiger teilgenommen. Schaar äußerte sich zur Verhandlung wie folgt:
Die Befugnisse der Sicherheitsbehörden sind in den letzten Jahren massiv ausgeweitet worden. Die Online-Durchsuchung wäre ein weiterer bedenklicher Schritt zu einer immer umfassenderen Überwachung. Jede neue Maßnahme muss auch in diesem Zusammenhang gesehen werden, denn nur so lässt sich die Balance zwischen Freiheit und Sicherheit wahren. Der internationale Terrorismus profitiert nicht nur von Überreaktionen demokratischer Gesellschaften, er provoziert sie geradezu.
Schaar äußerte ferner die Befürchtung, dass die Online-Durchsuchung entgegen anders lautenden Erklärungen nicht nur in ganz wenigen Fällen durchgeführt werden wird und sich zu einer Standardmaßnahme von Polizei und Nachrichtendiensten entwickeln könnte. Auch die heute zum Standardrepertoire der Sicherheitsbehörden zählende Telekommunikationsüberwachung sei zunächst nur für einige wenige besonders schwere Straftaten erlaubt worden.
Der gesetzlich legitimierte heimliche Zugriff auf informationstechnische Systeme unter Einsatz technischer Mittel (so genannte Online-Durchsuchung) wäre ein Eingriff in die Privatsphäre von qualitativ neuer Dimension. Er würde staatlichen Sicherheitsbehörden nicht nur den heimlichen Zugriff auf gespeicherte Daten (Bilder, Briefe, E-Mails etc.) ermöglichen, sondern auch eine Online-Überwachung zukünftiger Aktivitäten (Protokollierung sämtlicher Tastatureingaben etc.) und eine Online-Steuerung (heimliche Aktivierung und Steuerung angeschlossener Peripheriegeräte - Kamera, Mikrofon - etc.). Hiergegen bestehen schwerwiegende verfassungsrechtliche Bedenken.
Nach der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung ist bei jeder staatlichen Beobachtung ein aus der Achtung der Menschenwürde des Artikel 1 Absatz 1 des Grundgesetzes (GG) abzuleitender unantastbarer Kernbereich privater Lebensgestaltung zu wahren. Das Gericht hat dabei stets betont, dass der Staat - auch Rahmen der Gefahrenabwehr für hochrangige Rechtsgüter - nicht in diesen Kernbereich eingreifen darf. Es ist nicht erkennbar, wie bei einer heimlichen Online-Durchsuchung die Verletzung dieses Kernbereichs vermieden werden kann. Mangels technischer Selektierbarkeit würden auch die in einem Computer gespeicherten höchstpersönlichen Daten (private Tagebücher, Fotos, Arztrechnungen etc.) dem staatlichen Zugriff unterworfen. Dies wäre mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Kernbereichsschutz aus meiner Sicht nicht vereinbar.
Verfassungsrechtliche Bedenken bestehen auch im Hinblick auf die durch Artikel 13 GG gewährleistete Unverletzlichkeit der Wohnung. Gegenüber einer akustischen Wohnraumüberwachung, die nur unter den sehr engen Voraussetzungen des Artikel 13 GG zulässig ist, würde ein derartiger Zugriff sogar noch tiefer in die Privatsphäre eingreifen, zumal Computer vielfach von mehreren Personen, etwa Familienmitgliedern, gemeinsam genutzt werden.
Schaar: Angesichts der heutigen kritischen Anmerkungen der Sachverständigen ist der Bundesgesetzgeber gut beraten, die Entscheidung des Gerichts zur Zulässigkeit der Online-Durchsuchung nach dem Verfassungsschutzgesetz NRW abzuwarten und diese Befugnis nicht im Schnelldurchgang, zum Beispiel in das Gesetz über das Bundeskriminalamt, aufzunehmen. Hier geht Sorgfalt vor Schnelligkeit, zumal viele technische Fragen (Wie kommt das Durchsuchungsprogramm auf den Computer? Dürfen etwa Behörden-E-Mails mit dem „Bundestrojaner“ versehen werden? etc.) noch nicht hinreichend geklärt sind.