Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit

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Bonn/Berlin, den 17. Dezember 2010

Pressemitteilung 49/2010

Deutscher Bundestag: Stärkung der Datenschutzrechte dringend geboten

In einer einstimmigen Entschließung haben die Abgeordneten des Deutschen Bundestags gestern zum aktuellen Tätigkeitsbericht des Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit Stellung genommen.

In einer einstimmigen Entschließung haben die Abgeordneten des Deutschen Bundestags gestern zum aktuellen Tätigkeitsbericht des Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit Stellung genommen.

Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit, Peter Schaar, sieht in diesem einhelligen Votum des Deutschen Bundestags für einen wirksamen, zeitgemäßen Datenschutz eine wichtige Unterstützung seiner Arbeit.

Peter Schaar: Ich danke den Abgeordneten des Deutschen Bundestags für die breite Unterstützung der Arbeit meiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Die Entschließung zeigt, dass der Datenschutz in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist.

Ich erwarte nun von der Bundesregierung, dass sie entsprechend dem Willen des Parlaments handelt und den Datenschutz stärkt. Wichtig sind sowohl gesetzliche Änderungen als auch praktische Maßnahmen.

Die Formulierung „roter Linien“ ist zwar erforderlich, reicht aber nicht aus. Sei es der Umgang mit persönlichen Daten im Internet, die rasante Entwicklung neuer Technologien oder die Bildungsarbeit im Bereich des Datenschutzes - die Bürgerinnen und Bürger haben ein Recht darauf, dass diese Fragen, wie von den Abgeordneten gefordert, tatkräftig angegangen werden.

Die Entschließung des deutschen Bundestags vom 16. Dezember 2010 hat den folgenden Wortlaut:

Der Bundestag wolle beschließen,

in Kenntnis der Unterrichtung auf Drucksache 16/12600 folgende Entschließung anzunehmen:

1. Der Deutsche Bundestag hat schon mehrfach die große Bedeutung eines präventiven technologischen Datenschutzes unterstrichen. Neue Technologien haben bereits bei ihrer Entwicklung wie auch bei ihrem Einsatz den Erfordernissen eines wirksamen Datenschutzes zu entsprechen. Gesetzliche Vorgaben sollten verpflichtend und technikneutral die Schutzziele bestimmen, damit der Datenschutz auch bei weiterem technologischem Fortschritt gewährleistet und bereits im Entwicklungsstadium von neuen Produkten und Geschäftsmodellen berücksichtigt wird.

2. Der Deutsche Bundestag sieht mit Sorge, wie es die Vielzahl der Datenverarbeitungen und das unaufhörliche Anwachsen von Datenbeständen den Bürgerinnen und Bürgern immer schwerer macht, ihr informationelles Selbstbestimmungsrecht auch tatsächlich auszuüben. Eine Stärkung der Betroffenenrechte ist deswegen dringend geboten.

Eine engere Zweckbindung in den gesetzlichen Normen stärkt die Selbstbestimmung der Betroffenen über den Umgang mit ihren persönlichen Daten und begegnet der zunehmenden Vernetzung unterschiedlicher Datenbestände, die auch vom Bundesverfassungsgericht als große Gefahr für das Persönlichkeitsrecht gesehen wird. Eine Profilbildung, die ein besonderes Gefährdungspotenzial in sich birgt, ist nur dann zulässig, wenn sie durch eine entsprechende gesetzliche Grundlage erlaubt ist oder der Betroffene wirksam eingewilligt hat. Außerdem muss die Sammlung personenbezogener Daten ohne Kenntnis der Betroffenen wieder zur Ausnahme werden.

Die verantwortlichen Stellen müssen grundsätzlich zu einer umfassenden Information der Betroffenen verpflichtet werden. Außerdem müssen die Rechte auf Auskunft, Löschung, Sperrung oder Widerspruch in ihrer Ausübung und Durchsetzung bürgerfreundlicher werden und auch im Kontext des Internet einfach handhabbar und realisierbar sein.

Dabei kommt dem Einsatz moderner Technologien (etwa dem Recht auf Auskunft über die gespeicherten Daten und einem Widerspruchsrecht, deren Ausübung auch auf elektronischem Wege zu ermöglichen ist) besondere Bedeutung zu. Die Bundesregierung wird aufgefordert, entsprechende Vorschläge zu erarbeiten.


3. Der Deutsche Bundestag beobachtet sorgfältig die besondere Gefährdung des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung, die sich aus neuen technischen Möglichkeiten und einem veränderten Kommunikationsverhalten ergeben, insbesondere im Zusammenhang mit der Weiterentwicklung des Internet. Er begrüßt es daher, dass sich auch die Bundesregierung dieser Thematik verstärkt zugewandt hat.

Neben flankierenden gesetzlichen Regelungen können Selbstverpflichtungen der beteiligten Branchen das Datenschutzniveau verbessern.

4. Für wirkungsvollen Datenschutz, insbesondere im Internet, ist es unerlässlich, dass auch die Betroffenen selbst verantwortungsvoll mit ihren personenbezogenen Daten umgehen und die Möglichkeiten technischer Schutzmaßnahmen nutzen. Hierfür fehlt es aber noch immer an der erforderlichen Sensibilität für mögliche Gefahren und an Wissen darüber, welche Maßnahmen des Selbstschutzes möglich und sinnvoll sind.

Aufklärung und entsprechendes technisches Knowhow sind deswegen wichtige datenschutzpolitische Ziele. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, sich diesen Aufgaben verstärkt zu widmen, z. B. durch Errichtung der Stiftung Datenschutz.

Dabei hat die Bundesregierung dafür Sorge zu tragen, dass keine Parallelstrukturen oder Konkurrenz zu den durch die Datenschutzbeauftragten des Bundes- und der Länder wahrgenommenen Aufgaben entstehen.

5. Kinder und Jugendliche können vielfach die mit der Nutzung moderner Techniken verbundenen Konsequenzen und Risiken nicht erkennen oder richtig einschätzen. Ein verstärktes Bemühen um Aufklärung und Bildung im Bereich Datenschutz ist vor diesem Hintergrund gerade auch bei jungen Menschen geboten.

Hierzu soll die geplante Stiftung Datenschutz einen wesentlichen Beitrag leisten, ohne mit den bereits bestehenden Angeboten in Konkurrenz zu treten. Der Deutsche Bundestag begrüßt in diesem Zusammenhang die Bildungsinitiativen der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder.

Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf zu prüfen, wie neben dieser Bereitstellung von Bildungsangeboten auch durch gesetzliche Vorgaben der Datenschutz insbesondere von Kindern und Jugendlichen verbessert werden kann.

6. Der Bundestag begrüßt das Eckpunktepapier der Konferenz der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder „Ein modernes Datenschutzrecht für das 21. Jahrhundert“.

Er fordert die Bundesregierung auf, Möglichkeiten zur Umsetzung der dort gemachten Vorschläge und Anreize zu prüfen und darüber hinaus die Entschließungen der Konferenz der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder in ihre politischen und gesetzgeberischen Überlegungen mit einfließen zu lassen.

7. Datenschutzgütesiegel und Datenschutzaudits können im Verhältnis zwischen Bürgern, Unternehmen und Staat ein wesentliches Instrument zur Vertrauensbildung darstellen. Sie sind geeignet, die Eigenverantwortlichkeit der verantwortlichen Stelle zu fördern und zu stärken. Der Deutsche Bundestag bedauert es daher, dass auch in der 16. Wahlperiode keine Verständigung über ein einheitliches und bundesweit anerkanntes Zertifizierungsinstrument erfolgen konnte. Insofern begrüßt er das Vorhaben der Bundesregierung eine Stiftung Datenschutz errichten zu wollen, die diesen Missstand aufgreifen und Vorschläge für eine transparente Zertifizierungspraxis erarbeiten soll. Der Deutsche Bundestag weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die Stiftung Datenschutz jedoch nur dann den gewünschten Erfolg erzielen wird, wenn sowohl in personeller, als auch in wirtschaftlicher Hinsicht ihre Unabhängigkeit gewährleistet ist.

8. Mit Interesse hat der Deutsche Bundestag das Urteil des Europäischen Gerichtshofes zur Unabhängigkeit der Datenschutzaufsichtsbehörden in den Ländern zur Kenntnis genommen. Der Bundestag fordert die Bundesregierung auf zu prüfen, ob durch die Entscheidung auch auf Bundesebene ein gesetzgeberisches Handeln erforderlich ist.

Bei einer Neuregelung sollten Eingriffsmöglichkeiten und Rechtsrahmen der Datenschutzaufsicht möglichst einheitlich ausgestaltet und die Effizienz des Datenschutzes gewährleistet werden.

Zudem regt der Deutsche Bundestag an zu prüfen, ob der Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit im Bereich der seiner Aufsichtszuständigkeit unterliegenden Post- und Telekommunikationsdienstleistungen die gleichen nach § 38 BDSG definierten Handlungs- und Sanktionsmöglichkeiten wie die Aufsichtsbehörden der Länder erhalten sollte.

9. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung dazu auf, sich in den bevorstehenden Verhandlungen zur Novellierung der EU-Datenschutzrichtlinie 95/46 vom 23.11.1995 für die Sicherung eines hohen Datenschutzniveaus entsprechend der bundesdeutschen Datenschutzbestimmungen einzusetzen. Er bittet zudem die Bundesregierung zu prüfen, inwiefern die Modernisierungsvorschläge der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder hierbei Berücksichtigung finden können.

10. Der Deutsche Bundestag beobachtet sorgfältig die ständig fortschreitende globale Vernetzung, die allein durch nationale Datenschutzgesetze nicht geregelt werden kann. Deshalb müssen internationale Instrumente entwickelt werden, welche den Schutz der Persönlichkeitsrechte der Betroffenen wirksam gewährleisten. Der Deutsche Bundestag begrüßt daher die Absicht der EU, in einem allgemeinen Datenschutzabkommen für die polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit mit den Vereinigten Staaten von Amerika hierfür die Voraussetzungen zu schaffen. Dabei müssen aber die europaweit und national geltenden Datenschutzstandards eingehalten und fortgeschrieben werden.

11. Der Deutsche Bundestag hat bereits in seiner Entschließung zum 20. Tätigkeitsbericht des BfDI zur Übermittlung von Fluggastdaten in die USA Stellung genommen (BTDrucks. 16/4882, Nr. 6). Seitdem werden Passagierdaten auch in weitere Staaten übermittelt. Der Deutsche Bundestag ruft die Bundesregierung auf, sich bei der Europäischen Union für die Entwicklung eines Musterabkommens für Fluggastdaten einzusetzen, das hohen Datenschutzstandards genügt und einen angemessenen Rechtsschutz ermöglicht. Ein entsprechendes Abkommen sollte insbesondere Zurückhaltung im Bezug auf den Umfang der zu übermittelnden Daten und deren Speicherdauer üben und auf eine strenge Zweckbindung Wert legen.

12. Staatliche Stellen nutzen zunehmend die ihnen eingeräumte Befugnis, sich im Kontenabrufverfahren über die von Bürgerinnen und Bürgern eingerichteten Konten zu informieren. Der Deutsche Bundestag erinnert daran, dass es sich hierbei um Eingriffe in die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen handelt, bei denen der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten ist. Er fordert die Bundesregierung auf, schnellstmöglich den Prüfauftrag aus dem Koalitionsvertrag umzusetzen und nach Auswertung der Ergebnisse der stetigen Ausweitung der Abfragen durch wirksame Maßnahmen zu begegnen.

13. Der Deutsche Bundestag ist sich der datenschutzrechtlichen Vorbehalte bewusst, die bei vielen Bürgerinnen und Bürgern hinsichtlich der Volkszählung 2011 bestehen.Gerade deswegen ist eine datenschutzkonforme Durchführung des Zensus unabdingbar. Dies gilt insbesondere für die Verwendung von Ordnungsnummern, die Gestaltung der Fragebögen und die Durchführung der Zählung in sensiblen Sonderbereichen.

14. Bei der anstehenden Reform des Melderechts sieht der Deutsche Bundestag keine Notwendigkeit für eine zentrale Speicherung. In jedem Fall muss das Melderecht grundsätzlich auf seine Kernfunktionen beschränkt werden.

Die bisherige Praxis der listenmäßigen Übermittlung von Einwohnerdaten an Dritte sollte überprüft werden.

15. Der Deutsche Bundestag bedauert, dass seine Aufforderung aus den Entschließungen zum 20. Tätigkeitsbericht des Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit (BT-Drucks. 16/4882, Nr. 10) und zum 21. Tätigkeitsbericht (BT-Drucks. 16/12271, Nr. 5), auch für die Steuerverwaltung den datenschutzrechtlichen Auskunftsanspruch gesetzlich festzuschreiben, noch zu keinem Ergebnis geführt hat. Er hält an seiner Forderung fest, die Abgabenordnung um einen entsprechenden vorbehaltlosen gesetzlichen Anspruch zu erweitern.

16. Die Möglichkeit, mithilfe intelligenter Stromzähler den tatsächlichen Stromverbrauch kontrollieren zu können, könnte einen ökonomischen Mehrwert für den Verbraucher schaffen und beträchtliche ökologische Vorteile mit sich bringen. Bei ihrem Betrieb fallen jedoch auch umfangreiche und differenzierte Datenbestände (Lastprofile) an, die durch geeignete technische und organisatorische Maßnahmen wirksam vor dem Zugriff durch Unberechtigte geschützt werden müssen. Auch muss sichergestellt werden, dass die Datenhoheit beim Verbraucher verbleibt und dieser selbst darüber entscheiden kann, welche Daten er zur Verfügung stellen möchte.

Der Bundestag fordert daher die Bundesregierung auf, ihn bei dem Anliegen, neue Technologien datenschutzkonform ausgestalten zu wollen, auch in Zukunft zu unterstützen und die Notwendigkeit der Schaffung gesetzlicher Vorgaben in diesem Bereich zu prüfen.“